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Ein Kanzler im Kurztrip auf Langstrecke für den Klimaschutz. Friedrich Merz
fliegt zur Klimakonferenz nach Belém in Brasilien und bleibt dort nur wenige
Stunden. Mit an Bord: eine Agenda zwischen Industriepolitik,
Technologieoffenheit und der Frage, ob Deutschland beim Klima überhaupt noch als
Vorbild gilt. Gordon Repinski begleitet den Kanzler und ordnet die vorher Reise
ein.
Zurück in Berlin: Da tagt vorher der Kanzlerreise der Stahlgipfel im Kanzleramt.
Tom Schmidtgen vom POLITICO-Newsletter Industrie und Handel erklärt, woran die
Stahlbranche wirklich krankt, warum Zölle gegen Billigimporte drohen und weshalb
selbst der Industriestrompreis nicht hilft.
Im 200-Sekunden-Interview spricht Ilse Aigner, Präsidentin des Bayerischen
Landtags, über den Verdacht, dass die AfD mit parlamentarischen Anfragen
sensible Daten zur kritischen Infrastruktur abgreift. Sie fordert strengere
Regeln und ein entschiedenes Vorgehen gegen mögliche Spionage.
Zum Schluss nimmt euch Gordon mit zum Launch-Event des Newsletters Industrie und
Handel.
Das Berlin Playbook als Podcast gibt es jeden Morgen ab 5 Uhr. Gordon Repinski
und das POLITICO-Team liefern Politik zum Hören – kompakt, international,
hintergründig.
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Tag - Zölle
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf
den Punkt.
Von TOM SCHMIDTGEN
Mit LAURA HÜLSEMANN und ROMANUS OTTE
Im Browser anzeigen oder hier anhören.
TOP-THEMEN
— Drei Szenarien, wie die Mindestlohnkommission entscheiden kann — und nur eine
sorgt für Frieden in der Koalition.
— Die SPD will für einen Förderbescheid ein Aufsichtsratsmandat, um bei
kriselnden Stahlkonzernen mitzureden.
— Merz zeigt sich nach dem EU-Gipfel skeptisch mit Blick auf die US-Zölle — und
optimistisch bezüglich Mercosur.
Guten Morgen vom Team Industrie und Handel — die Entscheidung der
Mindestlohnkommission wird die Stimmung auf dem SPD-Parteitag prägen. Romanus
Otte wird vor Ort sein. Sprechen Sie ihn gern an.
Senden Sie Tipps an rotte@politico.eu, tschmidtgen@politico.eu,
lhulsemann@politico.eu, tmumme@politico.eu und jkloeckner@politico.eu.
Oder folgen Sie uns auf X: @TommesFrittes, @HulsemannLaura, @ThorstenMumme &
@herrkloeckner
THEMA DES TAGES
SHOWDOWN UM 15 EURO: Heute soll die Mindestlohnkommission ihre heikle Empfehlung
vorlegen. Die Bundespressekonferenz zog den Termin mit Steffen Kampeter
(Arbeitgeber), Stefan Körzell (DGB) und Kommissions-Chefin Christiane Schönefeld
auf 10 Uhr vor.
Pikantes Timing: Am Mittag beginnt der SPD-Parteitag — mit einer Rede von
DGB-Chefin Yasmin Fahimi.
Die SPD will eine Erhöhung auf 15 Euro ab kommendem Jahr. „Für die SPD ist das
eines der wichtigsten Themen“, sagte Sarah Philipp, Co-Chefin der NRW-SPD meinen
Kollegen Laura Hülsemann und Jürgen Klöckner. Welche Möglichkeiten liegen auf
dem Tisch?
Szenario 1: Die Kommission empfiehlt die Anhebung auf 15 Euro. Dann wäre
Frieden. Doch das gilt als wenig wahrscheinlich. Die Arbeitgeber halten die
Erhöhung um 17 Prozent für nicht verkraftbar.
Brandbrief Ost: Gestern warnten ostdeutsche Wirtschaftsverbände in einer
gemeinsamen Stellungnahme vor den Folgen (hier). „Es darf keine weitere Erhöhung
des gesetzlichen Mindestlohns geben, solange dieser der wirtschaftlichen
Entwicklung des Landes vorauseilt“, heißt es darin.
Szenario 2: Die Kommission spielt auf Zeit. Vor allem den Arbeitgebern wäre es
recht, das Ergebnis erst nach dem SPD-Parteitag zu verkünden, hört Romanus Otte.
Die Leerstelle würde beim Parteitag für Diskussionen sorgen — aber nicht für
Krach auf offener Parteitagsbühne.
Szenario 3: Die Kommission bleibt mit ihrer Empfehlung unter 15 Euro. Zuletzt
wurde mehrfach eine Zahl von 14,60 Euro kolportiert.
Dann hat Lars Klingbeil ein Problem. Er will als SPD-Chef wiedergewählt werden.
Das könnte dann daran geknüpft werden, ihn per Parteitagsbeschluss darauf zu
verpflichten.
Notfalls per Gesetz: „Ich halte es für absolut wichtig, hier einen Pflock
einzuschlagen und den Mindestlohn auf 15 Euro anzuheben, notfalls per Gesetz“,
sagte Philipp. Sie bringt auf dem Parteitag das Gewicht des größten
SPD-Landesverbandes ein.
Spielraum: „Wenn er knapp drunter ist, würden wir kein Gesetzgebungsverfahren da
anschließen“, sagte der kommissarische SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf
meinem Kollegen Gordon Repinski im Playbook-Podcast.
Und immerhin: „Für mich wäre es ein Wert an sich, wenn Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerseite zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen“, so Klüssendorf.
Aber da geht noch mehr: „Beim Parteitag können wir auch SPD-Themen beschließen,
die über den Koalitionsvertrag hinausgehen“, beharrt Philipp.
Zeichen setzen: „Die SPD kann nicht wieder erfolgreicher werden, wenn wir nur
die To-do-Liste des Koalitionsvertrages abarbeiten“, meint sie. „Da spielen gute
Löhne eine wichtige Rolle.“
Union in Habacht: „Wir sollten den Mindestlohn nicht zum Spielball
parteipolitischer Debatten im Bundestag machen“, warnt Unions-Fraktionsvize Sepp
Müller gegenüber Tom Schmidtgen.
Respekt: Er werde die Entscheidung der Kommission in jedem Fall akzeptieren —
„ganz gleich, wie sie im Einzelnen ausfällt“.
Öffnungsklausel? Für zusätzliche Unruhe sorgt die Forderung des Bauernverbandes,
den Mindestlohn für Erntehelfer um 20 Prozent zu senken. Auch weil Agrarminister
Alois Rainer (CSU) das wohlwollend prüfen will.
Schweizer Käse: „Wenn man beim Mindestlohn Ausnahmen schafft, dann wird das
Instrument langfristig überflüssig“, warnt Philipp.
STRATEGISCHE STAATSBETEILIGUNGEN
STAATLICHER STAHL: Die SPD liebäugelt mit Staatsbeteiligungen an Stahlkonzernen.
„Wir müssen bei großer staatlicher Förderung auch über einen vorübergehenden
Einstieg des Staates oder eine strategische Beteiligung an Stahlunternehmen
reden“, sagte Sarah Philipp, Co-Chefin der NRW-SPD, zu Laura und Jürgen.
Förderung gegen Mitsprache: „NRW unterstützt die Transformation bei Thyssenkrupp
mit 700 Millionen Euro, der historisch höchsten Einzelförderung des Landes“, so
Philipp.
Kritik an schwarz-grüner Landesregierung: „Wenn ich mit Fördermitteln
unterstütze, warum bekomme ich eigentlich keinen Sitz im Aufsichtsrat? Warum
fordere ich das eigentlich nicht ein?“
„Wenn für Thyssenkrupp zwei Milliarden Euro Fördermittel fließen, kann es nicht
sein, dass ein paar Wochen später 11.000 Arbeitsplätze in Duisburg auf dem Spiel
stehen“, kritisierte Philipp. Bei Förderbescheiden müsse die
Arbeitsplatzsicherung, Standortgarantie, Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft
garantiert sein.
Die Stahlkrise wird auch Thema beim SPD-Parteitag am Wochenende in Berlin. „Wir
brauchen jetzt unbedingt einen Stahlgipfel“, so Philipp. „Das werden wir beim
Parteitag auch einfordern.“
„Grüner Stahl ist zukunftsfähig“, beteuerte Philipp. „Aber dafür brauchen wir
auch die Pipeline-Infrastruktur, um den Wasserstoff nach Duisburg zu bringen.
Nach ArcelorMittal sei „natürlich die Angst da, dass dies auch bei ThyssenKrupp
passieren könnte.“
ZÖLLE I
DEEP TALK: Beim gestrigen EU-Gipfel zeigte sich Bundeskanzler Friedrich Merz
begeistert über die Detailtiefe der Gespräche, wie Hans von der Burchard in
Brüssel hört. Doch bei seinem wichtigsten Anliegen — einem schnellen, wenn auch
weniger umfangreichen Handelsabkommen mit den USA — gibt es kaum Fortschritt.
Realitätscheck: Im EU-Ratsgebäude musste sich der Kanzler von Kommissionschefin
Ursula von der Leyen anhören, dass sich die Trump-Administration ausgerechnet
bei seinem größten Anliegen — den sektoriellen Zöllen auf Produkte wie Autos,
Maschinenbau oder Pharma — am wenigsten bewegen will.
Merz wiederum warnte, genau diese Branchen seien „mit so hohen Zöllen belastet,
dass das die Unternehmen wirklich gefährdet“ — deswegen müsse eine Lösung
gefunden werden, ASAP: „Lieber jetzt schnell und einfach als langsam und
hochkompliziert.“
Pünktlich zum Gipfel legte Washington neue Forderungen vor — darunter
Zugeständnisse im landwirtschaftlichen Bereich, die für die EU schwer zu
akzeptieren sein dürften. „Wir bereiten uns auf die Möglichkeit vor, dass keine
zufriedenstellende Einigung in Reichweite ist,“ warnte von der Leyen. Emmanuel
Macron sagte wiederum, dass er mit einem 10-Prozent US-Zoll leben könne.
Problematisch ist aus Sicht der EU auch die Argumentation Trumps, die Zölle mit
der nationalen Sicherheit zu begründen. In Stellungnahmen an das
US-Handelsministerium hat Brüssel wiederholt Bedenken dazu geäußert und auf
Vergeltungsmaßnahmen im Falle neuer Zölle hingewiesen, wie unser US-Kollege Doug
Palmer nach Einsicht der Unterlagen berichtet.
Von der Leyens Gegenmaßnahme: Neue Verbündete suchen — etwa durch eine engere
Partnerschaft mit dem indo-pazifischen CPTPP-Handelsverbund, aber auch durch die
Schaffung einer Alternative zur paralysierten Welthandelsorganisation.
Merz unterstützt das: „Wenn die WTO so funktionsunfähig ist, wie sie es schon
seit Jahren ist und offenbar auch bleibt, dann müssen wir, die den freien Handel
unverändert für wichtig halten, uns etwas anderes einfallen lassen“, so der
Kanzler.
Die jüngsten Zahlen zum US-Handelsdefizit dürften Trumps Zoll-Furor nicht
bremsen. Es stieg im Mai nämlich um 11 Prozent auf 96,6 Milliarden Dollar, da
die Exporte auf den niedrigsten Stand seit Januar sanken, wie aus dem jüngsten
Advanced Economic Indicator Report des US-Handelsministeriums vom Donnerstag
hervorgeht.
KRISENMEETING: Ursula von der Leyen empfängt am kommenden Mittwoch — wenige Tage
vor der Deadline im Zollstreit zwischen den USA und der EU — zwölf deutsche
Top-CEOs zum Lunch in Brüssel. Das wurde unserem Kollegen Rasmus Buchsteiner
bestätigt.
Ungewöhnlich: Normalerweise empfängt von der Leyen im Berlaymont außerhalb von
Dialog-Formaten der Kommission keine Firmenchefs. Türöffner war in diesem Fall
Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), der bei dem Treffen in
Brüssel dabei sein wird.
Die Agenda: Bei dem Treffen dürfte es, wie zu hören ist, um die
Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gehen, um Industriepolitik und um die
Zollfrage.
Die Gästeliste: Leonard Birnbaum (E.ON), Carsten Knobel (Henkel), Christian
Kullmann (Evonik), Michael Lewis (Uniper), Miguel Lopez (Thyssenkrupp), Tobias
Meyer (DHL), Armin Papperger (Rheinmetall), Juan Santamaria Cases (Hochtief),
Lionel Souque (REWE), Carsten Spohr, (Lufthansa), Markus Steilemann (Covestro),
Mathias Zachert (Lanxess), Arndt Kirchhoff (Unternehmer.NRW).
KANZLER-OPTIMISMUS ZU MERCOSUR: Schon Anfang nächster Woche soll der
Südamerika-Deal den EU-Staaten zur Ratifizierung vorgelegt werden, sagte Merz am
gestrigen späten Abend.
Gleich zweimal sprach der Kanzler sprach dazu mit Emmanuel Macron, dem größten
Skeptiker. „Mein Eindruck war, … dass da eine große Bereitschaft besteht, das
jetzt auf den Weg zu bringen,“ so Merz.
ZÖLLE II
LONDON CALLING: Großbritannien denkt darüber nach, dem europäischen Zollabkommen
beizutreten. Die Regierung will Unternehmen zum Nutzen befragen. Damit ließen
sich Vorschriften für internationale Lieferketten vereinfachen. Das berichtet
mein Kollege Jon Stone.
Konkret geht es um das Pan-Europa-Mittelmeer-Zollabkommen (PEM), dessen
revidierte Fassung am 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat.
In der gestern veröffentlichten Handelsstrategie der britischen Regierung heißt
es, der Beitritt zum PEM würde „die Flexibilität für britische Exporteure
erhöhen, wo sie ihre Vorleistungen beziehen“.
Während die europäischen Staats- und Regierungschefs beim Abendessen darüber
stritten, wie man am besten ein Handelsabkommen mit Trump abschließen könne,
äußerte sich der britische Handelsminister zuversichtlich, das
amerikanisch-britische Abkommen verbessern zu können.
„Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir bei den Gegenzöllen Fortschritte
erzielen können“, antwortete Jonathan Reynolds auf eine Frage meines Kollegen
Graham Lanktree in London.
INFRASTRUKTUR
SERVUS SCHNIEDER: Die Verkehrsminister treffen sich heute zu einer Sondersitzung
in der Bayerischen Vertretung in Berlin, denn die Länder wollen wissen, wer die
Kosten der Infrastruktursanierung zahlt.
„Es gibt einen enormen Nachholbedarf bei der Sanierung der Infrastruktur“, sagte
der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter, der auch den Vorsitz der
Konferenz innehat, zu Laura.
Ein Großteil der 4.000 maroden Brücken in Deutschland will
Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder bis 2032 sanieren. Im Sondervermögen
Infrastruktur sind dafür in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro vorhergesehen, erst
danach mehr.
6.000 Brücken bräuchten einen Ersatzbau, so einer Studie des Verbands T&E. Die
Kosten belaufen sich auf 100 Milliarden Euro.
Zwar begrüßt Bernreiter das Sondervermögen Infrastruktur, aber dies erlaube
„nicht jede Brücke gleichzeitig oder das gesamte Bahnnetz auf einmal [zu]
sanieren“. Stattdessen müsse man den Fokus auf die Renovierung und Sanierung der
Bahnstrecken setzen — nicht auf den Neubau.
BAUBESCHLEUNIGUNG
FALSCHES GESETZ IM KABINETT: Der Windbau-Turbo, der vergangene Woche durchs
Kabinett ging, war eine veraltete Version. Das erfuhren Jasper Bennink und Tom
aus dem Bundestag.
Im Vorfeld gingen zwischen dem Umwelt- und Wirtschaftsministerium und der
Koalition mehrere Versionen des Entwurfs hin und her. Die Koalitionäre wollten
Paragraf 16b im Bundes-Immissionsschutzgesetz anders formuliert sehen, als er
jetzt vom Kabinett verabschiedet wurde.
Im Paragrafen geht es darum, dass nur die Bundeswehr und Luftverkehrsbehörden
Einspruch gegen Änderungen bei bereits genehmigten Windrädern erheben dürfen.
Die Koalition will, dass nach einer bestimmten Frist die Genehmigungsfiktion
gilt. Dieser Satz fehlt im Gesetz.
Kein Problem, heißt es aus der Koalition. Dies werde man mit Änderungsanträgen
im parlamentarischen Verfahren wieder zurechtbiegen.
GREEN CLAIMS
SAG EINFACH NEIN: Der VDA kritisiert die geplante Green-Claims-Richtlinie als
„Über- und Mehrfachregulierung“. Die Richtlinie belaste vor allem kleine
Unternehmen, „ohne dass es einen erkennbaren praktischen Nutzen für die
Kaufentscheidung der Verbraucher gäbe.“ Das berichtet Romanus.
Die Bundesregierung solle sich für die komplette Streichung einsetzen. „Es gibt
in der EU bereits einen bestehenden Rechtsrahmen, um irreführende Werbung
effektiv zu verhindern“, teilt der Verband mit.
KONJUNKTUR
HOFFNUNG: Die Deutsche Bank hat ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in
Deutschland in diesem Jahr auf 0,5 Prozent angehoben. Das geht aus einer neuen
Analyse von Deutsche Bank Research hervor (hier).
Das ist die optimistischste Prognose unter den maßgeblichen Ökonomen, deren
Konsensus bei rund 0,3 Prozent Wachstum liegt.
Momentum: Der Impuls der Ausgabenprogramme des Staates kann demnach stärker
ausfallen als bisher angenommen. 2026 könne das Wachstum auf 2,0 Prozent
anziehen.
HEUTE WICHTIG
— WOHNEN: Um 9:40 Uhr spricht Bundesbauministerin Verena Hubertz auf dem
Deutschen Mietertag in Rostock.
— FRAGEN: Um 11:30 Uhr findet die Regierungspressekonferenz statt.
— NACHBAR: Um 12 Uhr empfängt Friedrich Merz seinen österreichischen
Amtskollegen Christian Stocker mit militärischen Ehren.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen
Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf
den Punkt.
Von TOM SCHMIDTGEN
Mit LAURA HÜLSEMANN und ROMANUS OTTE
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— Kanzler und Wirtschaftsministerin drängen in der EU auf eine
wirtschaftsfreundliche Linie. Oft mit Erfolg, wie Romanus Otte analysiert.
— Die Sorge vor einem Scheitern der Zoll-Verhandlungen wächst. Fraglich ist, ob
Brüssel und Berlin dasselbe Ziel haben.
— Die CDU/CSU-Fraktion hat Eckpunkte für Anreize gegen den Fachkräftemangel
beschlossen, die POLITICO vorliegen.
Guten Morgen und willkommen bei Industrie & Handel. Heute gilt: Nach dem
Nato-Gipfel ist vor dem EU-Gipfel.
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@herrkloeckner
THEMA DES TAGES
DRUCK, DRUCK, DRUCK: Friedrich Merz reist heute erstmals als Kanzler zum
EU-Gipfel. Neben den Themen Ukraine, Migration und Zölle (unten mehr) hat Merz
in Brüssel eine besondere Mission.
Er will die Wirtschaftswende à la Deutschland in die EU bringen, hören
POLITICO-Kolleginnen und Kollegen in vielen Gesprächen in Berlin und Brüssel.
„Deutschland ist zurück“, lautet Merz’ Mantra. In der EU hat das zwei Folgen.
Die schwarz-rote-Bundesregierung dreht die Wirtschaftspolitik auf rechts. Und
Merz macht den Anspruch deutlich, diese Linie auch in Europa durchzusetzen.
Neue Inhalte, neuer Stil: Deutlich wurde das zuerst bei der Lockerung der
Lieferkettenrichtlinie sowie am Streit um die geplante Richtlinie gegen
Greenwashing in der Werbung.
Die Green-Claims-Richtlinie wurde auch durch Druck aus Deutschland zur Kampfzone
zwischen Parlament und Kommission (mehr hier).
Erst nein: Am Freitag hatte es noch geheißen, die Richtlinie werde
zurückgezogen.
Dann vielleicht: Gestern stellte ein EU-Beamter, der Kommissionschefin Ursula
von der Leyen nahesteht, gegenüber meinen Kollegen Marianne Gros und Karl
Mathiesen klar: „Zu keinem Zeitpunkt hat es einen Rückzieher bei der
Verpflichtung zu den Green Claims gegeben.“
Merz ficht den Streit nicht an. Unterstützt wird er von der EVP-Fraktion. Deren
Chef Manfred Weber nannte die Debatte um die Green-Claims-Absage im Interview
mit meinen Kollegen Oliver Noyan, Rasmus Buchsteiner und Hans von der Burchard
„grotesk“ (mehr hier).
Omnibus? Güterzug! Merz und Wirtschaftsministerin Reiche verweisen auf mehr als
1000 Rechtsakte der EU. Um sie zu verschlanken, brauche es keinen Omnibus, sagt
Reiche, sondern einen australischen Eisenerz-Güterzug. Die längsten haben 655
Waggons.
‚Ich will alles.’ In Brüssel werde Merz heute seine Themen Wettbewerbsfähigkeit
und Bürokratieabbau pushen, erfuhr meine Kollegin Nette Nöstlinger aus
Regierungskreisen in Berlin.
BEISPIEL INDUSTRIESTROMPREIS: Bei ihrem Amtsantritt hatte Reiche noch gewarnt,
für die geplanten Subventionen für Strompreise und neue Reserve-Gaskraftwerke
müsse sie in Brüssel noch „dicke Bretter“ bohren.
50 Tage später ist das Brett durch. Brüssel macht den Weg für den
Industriestrompreis frei. Die Kommission veränderte den Beihilferahmen so, dass
Strompreis-Subventionen für besonders energieintensive Unternehmen möglich
werden.
Was erlaubt wird: Subventionen dürfen den Marktpreis um bis zu 50 Prozent senken
— bis zur Hälfte des Stromverbrauchs einer Firma und nicht unter 50 Euro je
Megawattstunde.
Befristung: Die Beihilfen dürfen maximal drei Jahre pro Unternehmen gewährt
werden und müssen spätestens Ende 2030 auslaufen.
Klima-Investitionen: Unternehmen müssen die Hälfte der Beihilfen innerhalb von
vier Jahren in die Senkung ihrer CO2-Emissionen investieren. Förderfähig sind
erneuerbare Energien, Speicher, CO2-armer Wasserstoff und unter Umständen auch
Gas und Atomkraft.
Reiche begrüßte den Schritt. Offiziell zumindest. In einer Fragestunde im
Bundestag kritisierte sie aber die Befristung und Auflagen: „Da sind wir noch
nicht durch.“
ZÖLLE
ZOLL-ZWEIFEL: Christian Forwick, Abteilungsleiter Außenwirtschaft im
Wirtschaftsministerium, äußerte Zweifel, ob ein Abkommen vor Ablauf der
Trump’schen Frist realisierbar ist.
„Wir sehen immer noch eine Menge Turbulenzen. Ich bin nicht sicher, ob der 9.
Juli, was auch immer dabei herauskommt, der richtige Termin ist“, sagte Forwick
bei einer Diskussion des Aspen Institute, die mein Kollege Jürgen Klöckner
moderierte.
Hoffnung: „Aber ich bin mir sicher, dass wir uns in die richtige Richtung
bewegen“, sagte Forwick. Er hatte Reiche vergangene Woche nach Washington
begleitet und US-Finanzminister Scott Bessent und den US-Handelsbeauftragten
Jamieson Greer getroffen.
10-Prozent-Frage: Die Regierung könne mit einem niedrigen Basiszoll leben —
wenn er Berechenbarkeit bringe. „Wenn wir Zölle alle paar Wochen ändern, ist es
für Unternehmen nicht möglich, die notwendige Planung vorzunehmen“, sagte er.
Aber 25 Prozent? Das sei ein No-Go. „Ich denke zum Beispiel an den
Automobilsektor — da gibt es einen sehr hohen Zoll von 25 Prozent“, sagte
Forwick. Das wäre „wirklich das Ende einiger Handelsbeziehungen“. Sektoren wie
Pharma, Halbleiter und Flugzeuge seien wegen ihrer starken Verflechtungen
besonders anfällig.
NUN LIEFERT MAL: Beim EU-Gipfel in Brüssel erwarten die Staats- und
Regierungschefs heute ein Update der EU-Exekutive zu den Gesprächen mit der
Trump-Administration.
Merz will auf schnelle, schlanke Abkommen zu den größten Wirtschaftszweigen
drängen. Ihn treibt die Sorge um, dass Brüssel einen umfassenden Handelsrahmen
ausarbeiten könnte, bei dem die wichtigsten deutschen Industriebranchen
schlechter wegkommen.
Die Beibehaltung der gegenseitigen Zölle „ist nicht das Mandat, das wir der
Europäischen Kommission erteilt haben“, sagte ein EU-Diplomat unseren Kollegen
Camille Gijs and Jordyn Dahl in Brüssel.
Mehr zum Stand der Zoll-Debatte und den deutschen Sorgen finden Sie hier.
FACHKRÄFTEMANGEL
AN DIE ARBEIT: Die CDU/CSU-Fraktion hat erste Vorschläge zu den im
Koalitionsvertrag vereinbarten Arbeitsanreizen gegen den Fachkräftemangel
beschlossen. Die Eckpunkte liegen meiner Kollegin Pauline von Pezold vor.
1. Aktivrente: „Wir wollen Arbeiten im Alter attraktiver machen“, heißt es zur
Aktivrente (hier). „Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig
weiterarbeitet, wird sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei
erhalten.“
Wichtig: Der „neue Freibetrag soll zusätzlich zum Grundfreibetrag gelten“. Die
SPD wollte bisher lediglich den Grundfreibetrag auf 2000 Euro aufzustocken.
Aktivrentner sollen keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung
zahlen. Damit sie weiter für ihren Arbeitgeber arbeiten können, soll für sie das
Vorbeschäftigungsverbot für befristete Verträge aufgehoben werden.
2. Überstunden: Zuschläge für Überstunden jenseits der Vollzeitarbeit sollen
steuerfrei werden (hier). Als Vollzeit sollen für tarifliche Regelungen
mindestens 34 Stunden und für nicht tariflich festgelegte Arbeitszeiten 40
Stunden pro Woche gelten.
3. Aufstockung von Teilzeit: „Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der
Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen“, heißt es in
dem Papier (hier). Steuerfrei sind für eine dauerhafte Erhöhung der
wöchentlichen Arbeitszeit gewährte Prämien bis maximal 225 Euro/Stunde und
insgesamt 4.500 Euro.
ARBEITSKOSTEN
DER NÄCHSTE SCHRITT BEIM RENTENPAKET: Arbeitsministerin Bärbel Bas konkretisiert
die Rentenpläne der Regierung: Sie will die Mütterrente ausweiten, das
Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent festschreiben — und dennoch sollen die
Beiträge in dieser Wahlperiode nicht stärker steigen als sie es ohnehin getan
hätten.
Die Details: Rasmus Buchsteiner hat den Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums
eingesehen, der nun im Kabinett abgestimmt werden soll. Demnach soll die
Mütterrente für Frauen mit vor 1992 geborenen Kindern erst 2028 starten. Die
Haltelinie für das Rentenniveau würde erstmals 2029 greifen.
Die Finanzierung: Die Kosten von rund 14 Milliarden Euro bis Ende 2029 übernimmt
der Bund aus Steuergeld. Der Beitragssatz steigt laut Gesetzentwurf von heute
18,6 Prozent auf 20,0 Prozent im Jahr 2028.
AUTOINDUSTRIE
NICHT MEHR GELADEN LADEN: Die technischen Anforderungen an öffentlich
zugänglichen Ladepunkten für E-Autos sollen vereinheitlicht werden. Meinem
Kollegen Lars Petersen liegt der Referentenentwurf der überarbeiteten
Ladesäulenverordnung aus dem BMWE vor (hier).
Einmal hin, alles drin: Die Regelung soll den Wildwuchs bei Steckerformaten,
digitaler Vernetzung und Authentifizierung eindämmen und gleichzeitig für
weniger Bürokratie bei den Betreibern sorgen. Sie sollen Nachweise über
technische Standards nur noch auf Anforderung vorlegen müssen.
Auch die Meldeverfahren für In- und Außerbetriebnahme sowie Betreiberwechsel
sollen leichter werden. Die Bundesnetzagentur erhält dafür erweiterte Kontroll-
und Sanktionsbefugnisse.
Zeitplan: Deutschland passt damit sein Recht an die europäische AFIR-Verordnung
an. Bis zum 4. Juli ist der Entwurf in der Verbändeanhörung.
MERCOSUR
VEREINT IM PROTEST: Frankreich und Polen haben gemeinsam Kritik am
ausgehandelten Mercosur-Abkommen geübt. Die Agrarminister warnten, das Abkommen
könne Proteste ihrer Landwirte auslösen, da es den Markt mit billigen Importen
aus Südamerika fluten würde.
Sie werfen der EU-Kommission vor, heimlich verhandelt und die Interessen der
Landwirte missachtet zu haben. Brüssel schlägt zwar ein Zusatzprotokoll und
einen Ausgleichsfonds vor, doch das überzeugt Paris und Warschau nicht.
Voraussichtlich Ende Juni oder Anfang Juli will die EU-Kommission den
Mitgliedstaaten den finalen Text des Abkommens vorlegen.
ETS2
WEITERE ENTLASTUNGEN: 16 der 27 EU-Länder wollen die bevorstehende
CO₂-Bepreisung für Autos und Heizungen ändern. Das geht aus einem Dokument
hervor, das unserer Kollegin Louise Guillot vorliegt (hier).
Deutschland unterstützt den Vorstoß. An dem Arbeitspapier schrieb auch die
Fachebene aus Berlin mit. Mit großen Preissprüngen sei niemand geholfen — auch
nicht dem Klima, hört Laura Hülsemann aus dem Umweltministerium.
Strg + Entf: Gestern hat Deutschland erstmals Zertifikate gelöscht. Insgesamt
wurden CO2-Zertifikate im Wert von 514.000 Tonnen vom Markt genommen.
Grund ist der Kohleausstieg und die dadurch wegfallenden Emissionen. Durch die
Löschung wird der sogenannte „Wasserbetteffekt“ vermieden und es dürfen nicht
mehr an anderer Stelle Klimagase ausgestoßen werden.
Mehr dazu hier.
ANSIEDLUNGSPOLITIK
SECHS AUF EINEN STREICH: Sechs Konsortien aus Deutschland haben sich bislang für
den Bau einer AI Gigafactory beworben. Die Zahl nannte das
Forschungsministerium.
„Als Bundesregierung haben wir allen deutschen Bewerbern zugesichert, ihre
Interessensbekundung gegenüber der EU-Kommission zu unterstützen“, sagte eine
Sprecherin zu Tom Schmidtgen auf Nachfrage.
Kanzler Merz hatte am Montag beim Tag der Industrie gesagt, dass Deutschland
„vielleicht eine, vielleicht zwei, sogar drei große Gigafactories“ bauen
könne.
Fünf AI Gigafactories will die EU ausschreiben und fördern. Sie bestehen aus
mehr als 100.000 speziellen Chips und sind für Anwendungen der Künstlichen
Intelligenz essenziell. Die Frist lief am 20. Juni aus.
Druck aus Dresden: Sachsen fordert, bei den Chips europäische Hersteller zu
priorisieren. Es müsse ein „Anliegen sein, auch europäische Technologien“ zu
berücksichtigen, sagte ein Regierungssprecher zu Tom. Dafür solle „die
öffentliche Beschaffung als strategisches Instrument genutzt werden“. Sachsen
hat mit dem „Silicon Saxony“ die größte Halbleiterproduktion in Europa.
HABECK KAM NICHT: Die Nachricht, über die POLITICO schon am Montag berichtet
hatte, erreichte Robert Habeck offenbar erst gestern: Er sollte im
Haushaltsausschuss zur geplatzten Northvolt-Förderung aussagen.
Party statt Northvolt: Offenbar wurde vergessen, Habeck rechtzeitig vorzuladen,
berichtet der Spiegel. Das Sekretariat habe nur die Tagesordnung aktualisiert,
ihm aber erst am Mittwoch kurz vor 11 Uhr geschrieben. Die Folge: Er kam nicht.
Der Tagesordnungspunkt wurde wegen einer Ausschuss-Grillparty am Abend fallen
gelassen.
Union sauer: „Das ist ein verantwortungsloses Machtspiel“, sagte
Unions-Fraktionsvize Sepp Müller zu Tom. Habeck gehe es nicht „um
wirtschaftliche Sorgfalt, nicht um parlamentarische Kontrolle“.
Nachfolgerin Reiche sagte in ihrer Regierungsbefragung, Habecks Entscheidung für
Northvolt sei mit guter Absicht getroffen worden, habe sich aber als
„fehlerhaft“ erwiesen.
HEUTE WICHTIG
— WIRTSCHAFTSWENDE: Um 9 Uhr berät und beschließt der Bundestag den
Investitions-Booster. Hier geht’s zur Tagesordnung.
— JAPAN: Um 13.30 Uhr tauscht sich Forschungsministerin Dorothee Bär mit dem
japanischen Minister für wirtschaftliche Sicherheit, Minoru Kiuchi, aus.
— SPD: Um 14:15 Uhr nimmt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth an einer
Paneldiskussion zum Clean Industrial Deal beim Wirtschaftsforum der SPD teil.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen
Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!